Die Drei Kulturen und spanische Identität(en)

Die Drei Kulturen und spanische Identität(en)

Organisatoren
Exzellenzprojekt „Christen, Mauren, Juden“, Ludwig-Maximilians-Universität München, München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.02.2010 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Steffen Jost, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Über den Sinn der Exzellenzinitiativen der letzten Jahre lässt sich streiten, aber immerhin hat die deutschsprachige Spanienforschung diesem Umstand ein äußerst spannendes Forschungsprojekt zu verdanken. Bereits seit dem Herbst 2008 wird an der Ludwig Maximilians Universität München unter dem Titel „Christen, Mauren, Juden“ über den Standort muslimischer und jüdischer Identitäten im literarischen, politischen und gesellschaftlichen Selbstverständnis des (mehrheitlich katholischen) Spaniens geforscht.1 Nach einer Auftaktveranstaltung zu Américo Castro im Dezember 2008 2 stand nun eine Präsentation der bisherigen Forschungsergebnisse im Rahmen eines vom Instituto Cervantes, den Freundeskreisen des Lehrstuhls für jüdische Geschichte und Kultur und des Historischen Seminars sowie dem Institut für Romanische Philologie und dem Historischen Seminar der LMU unterstützten Workshops zu den „Drei Kulturen und spanischen Identitäten“ auf dem Plan. Hierzu waren drei etablierte Wissenschaftler/innen eingeladen worden, deren Vorträge zu den Einzelbereichen von den Doktorand/innen des Exzellenzprojektes mit einem Koreferat ergänzt wurden.

Nach einer Begrüßung durch die drei Betreuer des Projektes, Bernhard Teuber, Martin Baumeister und Michael Brenner (alle München) wurde kurz in das Thema des Workshops eingeführt. Es sollten im Laufe des Nachmittages vor allem die Fragen nach der Verwurzelung der jüdischen und maurischen Kultur im Spanien des 20. Jahrhunderts und der Bedeutung des Paradigmas der „Drei Kulturen“ als Deutungsmuster zur Verortung der Identitäten des Landes behandelt werden.

Den Anfang des eigentlichen Workshops machte XOSÉ MANOEL NÚÑEZ SEIXAS (Santiago de Compostela), welcher zunächst betonte, dass in Spanien derzeit eine hitzige Debatte über die Frage nach der Existenz eines spanischen Nationalismus geführt wird. Dabei wurde deutlich, dass der Begriff des Nationalisten durch das Erbe der franquistischen Diktatur schwer beschädigt wurde und von daher ungern als Selbstbezeichnung entsprechender Gruppen verwendet wird – man sieht sich selbst lieber als Patrioten. Aufgrund dieses schwierigen Erbes stand der spanische Patriotismus nach dem Tod Francos 1975 auch vor einer Reihe von Problemen: Man musste einen solchen Diskurs wieder legitimieren können, die Pluralität der spanischen Gesellschaft und Politik anerkennen, eine Antwort auf die Unabhängigkeitsbestrebungen der Peripherien finden und die eigenen nationalpatriotischen Vorstellungen mit dem Prozess der europäischen Einigung vereinbaren.

Es war zu Beginn der Demokratie zunächst die spanische Linke, welche die Richtung festlegte und sich dabei auf einen klaren Verfassungspatriotismus stützte. Allerdings bot diese Variante eindeutig zu wenige emotionale Elemente, so dass hier eine immer deutlichere Hinwendung zur Vergangenheit sichtbar wurde. Der Bürgerkrieg wurde dabei außer Acht gelassen und der Blick zum einen in die Zukunft und auf Europa und zum anderen in die deutlich länger zurückliegende Vergangenheit gelenkt. Höhepunkt dieser doppelten Vermeidung der Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte des Landes war das 1992 mit riesigem Aufwand gefeierte 500-jährige Jubiläum der Entdeckung Amerikas.

Diese Phase endete laut Núñez Seixas allerdings mit der Wahlniederlage der Sozialisten im Jahr 1996. Seitdem seien es drei Varianten, welche den patriotischen Diskurs auf der iberischen Halbinsel bestimmten. Zum einen die nostalgische Erinnerung der „Ewiggestrigen“ an Nationalkatholizismus und der versuchte Anschluss an die franquistischen Geschichtsbilder, zum anderen die Nationalismen der autonomen Regionen und zuletzt ein neuer, aktiver Nationalismus, eine Art „demokratischer Neo-Patriotismus“. Hier werde die Idee des Verfassungspatriotismus aufgegriffen und mit Rückgriffen auf jene Teile der spanischen Geschichte verbunden, die sich vorgeblich durch besondere politische und/oder parlamentarische Stabilität ausgezeichnet hätten. Juden und Mauren spielten innerhalb dieser Deutungsmuster kaum eine Rolle, wenn dann nur als das negative Andere. Passend dazu entwickelte sich in dieser Interpretation der spanischen Kulturgeschichte auch keine genuin maurische oder jüdische Kultur, sondern es kam stets zu einer Übernahme der vorhandenen spanischen Kultur.

Daran anschließend präsentierte BRITTA VOß (München) einen Einblick in ihre im Rahmen des Exzellenzprojektes laufende Promotion zu „Der Mythos der ‘Drei Kulturen‘ und nationale Identitätspolitik in Spanien seit der Transición“. Sie unterstrich die Aktualität der Debatte um den spanischen Nationalismus und bestätigte, dass die Verfassung derzeit den kleinsten gemeinsamen Nenner nationaler Identitätsentwürfe im Land darstelle. Sie führte die Debatte aber auf eine neue Ebene, indem sie danach fragte, wie sich die Rede von der spanischen Nation verändere, wenn man die Einwanderung von Muslimen ins Spanien der Gegenwart in Betracht ziehe. In der aktuellen Diskussion sei es so, dass die muslimischen Migranten als nicht integrierbar angesehen würden – im Gegensatz zu den Gruppen aus Lateinamerika. Nachvollziehbar werde diese Haltung durch die Analyse von Ansprachen, in denen der Islam immer wieder mit dem Fremden, dem nicht-spanischen verbunden werde. Dementsprechend entspanne sich aktuell auch eine Diskussion darum, inwieweit die Epoche zwischen 751 und 1492 überhaupt zur spanischen Geschichte gehöre. Aus diesem Grund seien die nordafrikanischen Einwanderer Ausgeschlossene – etwas das im Übrigen auch in der spanischen Bezeichnung der illegalen Einwanderer als „sin papeles“ deutlich wird – und es werden in der Debatte sogar Parallelen zwischen Reconquista bzw. Moriskenkriegen und der derzeitigen Situation gezogen. Spanien definiere sich dementsprechend noch immer als eine Nation, die im Kampf gegen die „Moros“ geformt worden sei. Die Konsequenz daraus lautet, so Voß, dass das maurische Erbe nur dann akzeptabel sei, wenn es in säkularisierter Form in Erscheinung träte, also auf seine kulturellen und ästhetischen Bestandteile reduziert werde. Der Mythos der „Drei Kulturen“ sei hier also vor allem eine touristische Attraktion.

In der zweiten Sektion wurde der Blick darauf geworfen, auf welche Weise sich die „Drei Kulturen“ in die literarischen Werke des 19. und 20. Jahrhunderts eingeschrieben haben. Ausgehend von Adornos Feststellung, dass die Bewältigung einer Vergangenheit der Beseitigung der Ursachen bedürfe, breitete NORBERT REHRMANN (Dresden) ein Panorama der Juden in der spanischen Literatur seit dem 19. Jahrhundert aus. Die Wiederentdeckung der maurischen und jüdischen Vergangenheit falle mit dem Strukturwandel in Spanien zu dieser Zeit zusammen und hätte mit dem Werk von José Amador de los Rios von 1848 begonnen. Dabei sei die Literatur der spanischen Romantik vor allem durch die maurische Vergangenheit geprägt gewesen – zentrale Einflüsse kamen auch von außen (Washington Irving) – und es lasse sich zudem ein klarer Gegensatz von „guten“ Mauren und „bösen“ Juden feststellen. Als zweite Phase arbeitete Rehrmann die spanischen Kolonialkriege in Nordafrika heraus, wo die spanischen Truppen auf sephardische Juden trafen. Auch in den Beschreibungen der Kriege lasse sich die bereits in der vorherigen Phase festgestellte Dichotomie zwischen Juden und Mauren wiederfinden. Als dritte Phase sieht Rehrmann die Zeit der Auseinandersetzungen zwischen liberalen und konservativen Kräften um die Religionsfreiheit in Spanien. Zu einer breiten Beschäftigung mit dem Erbe der Sepharden kam es seiner Meinung nach aber erst im 20. Jahrhundert. Es war die Sephardenkampagne von Ángel Pulido, welche die vor 400 Jahren ausgewiesenen Juden nach dem „Desaster“ von 1898 als ökonomisches Potential sah. Doch auch in dieser Form des Philosemitismus lasse sich, so Rehrmann, eine deutliche Dichotomie finden. Die Sepharden hätten den Platz der Mauren eingenommen und die Aschkenasen die Rolle der „bösen“ Juden inne gehabt.

Abschließend präsentierte Rehrmann drei Thesen zum Stand der Juden in der spanischen Literatur: 1. Spanien akzeptierte die maurischen Einflüsse stets leichter als die jüdischen, 2. Spanien ist anders: Kein anderes Land habe sich so intensiv mit seiner jüdischen Vergangenheit beschäftigt, 3. Der Philosephardismus sorgte für das Ausbleiben einer antisemitischen Massenbewegung.

Das Koreferat übernahm danach FABIAN SEVILLA (München), der einen Einblick in den sich verändernden Umgang mit dem Erbe der „Drei Kulturen“ gab. Anhand eines Textes von Francisco Ayala zeigte er, dass es bis heute zu einer Einschreibung der trikulturellen Vergangenheit kommt und dass diese sowohl von der franquistischen Mythenpflege, als auch den Thesen Americo Castros beeinflusst wurde. In der von ihm im Rahmen seiner Dissertation analysierten Erzählung „Der Kopf des Lammes“ kommen sowohl die Vertreibung der Morisken aus Spanien als auch der spanische Bürgerkrieg zur Sprache, symbolisch vereint in einer Fotografie, welche der spanische Handelsvertreter José bei einem Fremden in Marokko zu sehen bekommt. Nach der Mahlzeit im Haus des Gastgebers – es wird ein Lammkopf serviert – hat José Verdauungsprobleme, die er auf das ungewohnte Essen zurückführt. Für den Leser ist es aber eher die unverdaute Vergangenheit, sowohl der Moriskenvertreibung als auch des Bürgerkrieges, welche José – und damit auch Spanien – Probleme bereitet. Zwar misslingt der abschließende Verbrüderungsversuch zwischen Spanien und den Morisken (José erbricht die Mahlzeit), aber das Ereignis ist nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Es wird, so Sevilla, zu einer erneuten Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit kommen müssen, so wie auch Spanien seinem geschichtlichen Erbe nicht entfliehen könne.

In der dritten Sektion, die mit dem Vortrag der Anthropologin CHRISTIANE STALLAERT (Leuven) eröffnet wurde, ging es abschließend um die Stellung des „casticismo“ als Interpretament spanischer Identität. Stallaert beschäftigte sich zunächst mit verschiedenen Zugängen der Ethnizitätsforschung, wobei sie für ihren Zugriff „Primordialism“ und „Interactionism“ mit dem historischen Begriff der „longue durée“ kombinierte. In ihrem Vortrag machte sie deutlich, dass der „casticismo“ als zentraler Bestandteil der ethnischen „Mythomotorik“ fungierte und stellte heraus, dass insbesondere Santiago Matamoros als zentrale Figur des spanischen „casticismo“ zu verstehen sei. Bis heute würde dieser soziale Unterschied zwischen Christen, Muslimen und Juden bestehen und sich beispielsweise in Feiern wie „Moros y Cristianos“ niederschlagen.

Auch das ergänzende Referat von ANNA MENNY (München/Hamburg) zeigte den Niederschlag des „casticismo“ auf und die Referentin präsentierte einen Ausschnitt aus ihrer Promotion zu den jüdisch-spanischen Beziehungen seit den 1950er-Jahren. Anhand einer Analyse von Schulbüchern wurde die starke Verbindung von Ethnizität und Katholizismus deutlich. Eine besondere Rolle für die spanische Identitätsbildung, so Menny, spielte dabei das Zeitalter der katholischen Könige Isabel und Ferdinand. Das zentrale Schlagwort war dabei die sogenannte „Hispanidad“, ein zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgekommenes Konzept, in dem sich die Größe des spanischen Imperiums, die Einigung des Volkes und die Verschmelzung von Spanien und katholischer Religion vereinten. In den 1980er-Jahren habe dagegen ein gewisser Wandel eingesetzt, nun wurde die Vertreibung der Juden vor allem aus ökonomischen Gründen kritisiert. In den 1990er-Jahren wurde in den Schulbüchern versucht, mit Hilfe der trikulturen Vergangenheit das Bild eines schon im Mittelalter toleranten Spanien zu konstruieren. Während früher zudem die jüdisch-spanischen Beziehungen in diesen Büchern durch Abgrenzung gekennzeichnet waren, sei heute vor allem eine (gemeinsame) Tradition bestimmend. Leider, so betonte Menny abschließend, habe dies keinen Einfluss auf gegenwärtiges jüdisches Leben in Spanien. Jude zu sein, sei in Spanien noch immer keine Selbstverständlichkeit.

An diese Feststellung anknüpfend präsentierte während des zweiten Teils der Tagung am Abend im „Instituto Cervantes“ JACOBO ISRAEL GARZÓN (Madrid), der Präsident der „Federación de las Comunidades Judías de España“, einen Überblick über die Geschichte der Juden in Spanien und das jüdische Leben in Spanien heute. Er erläuterte, dass erst mit dem Ende der Inquisition im 19. Jahrhundert wieder Juden nach Spanien kamen, diese sich aber noch nicht organisieren konnten. Es sei von daher kaum möglich, für die Zeit vor dem I. Weltkrieg von wirklichem jüdischen Leben in Spanien zu sprechen und eine öffentliche Religionsausübung sei auch erst nach dem II. Vatikanischen Konzil Wirklichkeit geworden. Aber erst seit 1987 hätten sich die Juden als vollwertige Spanier fühlen können und hätten heute eine ganz normale Beziehung zur spanischen Gesellschaft, wie jede andere Minderheit auch. Davon abgesehen hätte es in den letzten Jahren eine ganze Reihe positiver Entwicklungen gegeben, wie ein Gesetz gegen Antisemitismus oder die Einrichtung der Casas Sefarad-Israel in Madrid. Gleichzeitig sei allerdings auch ein deutlicher Anstieg eines gesellschaftlichen Antisemitismus zu bemerken, der sich vor allem in einem deutlichen Antizionismus und der regelrechten Verteufelung des Staates Israel ausdrücke.

Anschließend an diesen Vortrag folgte eine Podiumsdiskussion mit CHARLOTTE KNOBLOCH (München), der Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, bei der es, vermutlich aufgrund der notwendigen Übersetzung, weniger zu einer Diskussion als zu längeren Wortbeiträgen der beiden Teilnehmer kam. Insgesamt bot die Veranstaltung einen umfassenden und interessanten Einblick in die laufenden Arbeiten des Forschungsprojektes und stellte eine Bereicherung im Kalender der historischen Spanienforschung in Deutschland dar.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einführung: Prof. Martin Baumeister / Prof. Michael Brenner / Prof. Bernhard Teuber

1. Sektion: Nationale Identitätspolitik in Spanien nach 1975
Moderation: Martin Baumeister

Xosé Manoel Núñez Seixas (Professor für Zeitgeschichte an der Universität von Santiago de Compostela): Spanischer Nationalismus und Geschichtspolitik am Anfang des 21. Jahrhunderts: Neue oder alte Diskurse?

Britta Voß: Der Mythos der "Drei Kulturen" und nationale Identitätspolitik in Spanien seit der Transición

2. Sektion: Die „Drei Kulturen” im Spiegel der spanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts
Moderation: Bernhard Teuber

Norbert Rehrmann (Professor für Spanische Landeswissenschaft an der TU Dresden): Die Wiederentdeckung der „Drei Kulturen” in der spanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts

Fabian Sevilla: Die „Drei Kulturen” in der jüngeren spanischen Literatur

3. Sektion: „Ethnizität“ und Religion – der Casticismo als Interpretament spanischer Identität?
Moderation: Michael Brenner

Christiane Stallaert (Professorin an der Faculty of Social Sciences in Leuven): Etnicidad y religión ¿clave de interpretación de la identidad española?

Anna Menny: Die spanisch-jüdischen Beziehungen und das Erbe von Sefarad, 1959 -1992

Abendvortrag und Podiumsdiskussion
Moderation: Michael Brenner

Jacobo Israel Garzón (Präsident der Federación de las Comunidades Judías de España (FCJE)): El retorno de Sefarad - Jüdisches Leben in Spanien heute

Podiumsdiskussion mit Charlotte Knobloch (Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern) und Jacobo Israel Garzón

Anmerkungen:
1 Zum Konzept des Projektes siehe: Ludwig-Maximilians-Universität/Christen, Mauren, Juden – Erinnerungskultur und Identitätspolitik in der iberischen Moderne <http://www.christen-mauren-juden.geschichte.uni-muenchen.de/index.html> (08.04.2010).
2 Tagungsbericht Cristianos, moros y judíos – Américo Castro und das Spanien der drei Kulturen heute. 23.11.2008-25.11.2008, München, in: H-Soz-u-Kult, 17.03.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2547>.